Mag. Philipp Zeidlinger

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COVID-19: Sind Verträge einzuhalten?

Welche Möglichkeit auf eine Vertragsanpassung, einen Rücktritt oder eine Kündigung gibt es?

Und plötzlich war sie da, die Krise, doch welche Auswirkungen hat die COVID-19-Pandemie auf bereits abgeschlossene Verträge? Im bürgerlichen Recht gibt es bereits jeher den Grundsatz „pacta sunt servanda“. Dabei handelt es sich um den Grundsatz der Vertragstreue. Dieser besagt, dass Vertragsverhältnisse grundsätzlich einzuhalten und die Vertragspartien grundsätzlich an den Vertrag gebunden sind, also den Vertrag einhalten müssen. COVID-19 und die damit einhergehenden Einschränkungen haben freilich einen maßgeblichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben in Österreich, es stellen sich daher die Fragen: Besteht die Möglichkeit, durch die seitens der Bundesregierung angeordneten Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 vom Vertragstreuegrundsatz abzuweichen? Besteht die Möglichkeit auf eine (Teil-)Vertragsanpassung, einen (Teil-)Rücktritt oder eine (Teil-)Kündigung?

Bevor diese Fragen beantwortet werden können, sind zunächst weitere Grundsätze des Privatrechts – dieses gilt für sämtliche Vertragsverhältnisse, unabhängig davon ob es sich um einen Vertrag zwischen zwei Unternehmern oder zu einem Konsumenten handelt – zu hinterfragen. Es besteht grundsätzlich das Prinzip der Privatautonomie. Die Gestaltung von Verträgen ist also normalerweise den Vertragsparteien – innerhalb der gesetzlichen Grenzen – überlassen. Trotz der vorhandenen Mindestvoraussetzungen an einen legalen Vertrag ist der Großteil der rechtlichen Normen dispositiv. Um eine konkrete Antwort auf die Frage zu finden, wie mit einem konkreten Vertragsverhältnis im Zusammenhang mit dem Coronavirus umzugehen ist, muss also zuvor der Vertrag gesichtet werden.

Wie zuvor erwähnt, dürfen aber die gesetzlichen Grundsätze nicht übersehen werden, um den Vertrag korrekt beurteilen zu können. Aufgrund des Coronavirus sind daher primär nachfolgende Fragen zu beantworten:

  • Ein Lieferant, Werkunternehmer oder Dienstleister kann die vertragliche Leistung nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erfüllen – liegt trotz Corona „Schuldnerverzug“ vor?
  • Ein Kunde oder Auftraggeber kann die angebotene Leistung nicht annehmen oder die vereinbarte Mitwirkungsleistungen nicht erbringen. Liegt „Annahmeverzug“ oder „Mangel an Mitwirkung“ vor.
  • Die Leistung ist aufgrund der Coronakrise endgültig nicht mehr erbringbar – liegt „Unmöglichkeit“ vor?

Coronavirus und höhere Gewalt?

„Höhere Gewalt“ bzw. „Force Majeure“ beschreibt normalerweise Ereignisse, die unabwendbar und unvorhersehbar sind. Darunter versteht man Naturkatastrophen in Form von Überschwemmungen, Unwetter usw. Dadurch, dass das Coronavirus mittlerweile eine Pandemie darstellt, hat der Begriff wieder Bekanntheit erlangt. Die Einordnung unter dem Begriff „höhere Gewalt“ ist rechtlich für die Folgen beim Schuldnerverzug relevant.
Der Gesetzgeber hat den Begriff „höhere Gewalt“ nicht genau definiert. Gemäß der Rechtsprechung liegt höhere Gewalt dann vor, wenn es sich um ein Ereignis handelt, das von außen einwirkt und nicht einmal durch die äußerste zumutbare Sorgfalt verhinderbar sowie derart außergewöhnlich ist, dass es nicht als typische Betriebsgefahr anzusehen ist.

Hier ist anzumerken, dass der Oberste Gerichtshof (OGH) im Zusammenhang mit dem SARS-Virus zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sich bei der Krankheit um „höhere Gewalt“ handelt. Beim Coronavirus handelt es sich ebenso um einen SARS-Virus und aufgrund des von der WHO ausgerufenen Pandemiestatus ist davon auszugehen, dass „höhere Gewalt“ vorliegt. Wesentlich ist aber, dass sich ein Schuldner nur dann auf die „höhere Gewalt“ stützen kann, wenn diese auch kausal für die nicht pünktliche Vertragserbringung war.

Was bedeutet das im konkreten Fall?

Coronavirus und Schuldnerverzug
Wenn der Lieferant, Werkunternehmer oder Dienstleister die vertragliche Leistung nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erbringen kann, liegt normalerweise Schuldnerverzug vor. Dabei können im Zusammenhang mit Corona unterschiedliche Ursachen vorliegen, z. B. dass die Behörden das Unternehmen zwangsweise schließen oder temporär keine Arbeitskräfte vorhanden sind. Oft kann es so sein, dass die Erfüllung wegen eines Zulieferers nicht möglich ist, da sich dieser mit seiner Leistung bereits im Verzugsstadium befindet. Es wird daher zwischen dem objektiven (nicht verschuldeten) und dem subjektiven (verschuldeten) Schuldnerverzug unterschieden. Der Gläubiger hat bei beiden ein Wahlrecht darauf, auf der (wenn auch verspäteten) Vertragserfüllung zu beharren oder einen Vertragsrücktritt unter Setzung einer angemessenen Frist zu erklären. Beim subjektiven Schuldnerverzug kann der Gläubiger zusätzlich auch noch Schadenersatz geltend machen, wobei hier die Beurteilung von höherer Gewalt relevant ist. Wenn höhere Gewalt vorliegt, handelt es sich nicht um objektiven Verzug – wenn es z. B. zu einer Unternehmensschließung kommt, haftet der Unternehmer nicht für den Verzug. Es ist aber im Einzelfall zu hinterfragen, ob tatsächlich das Coronavirus die Leistungserbringung verhindert oder verzögert hat und ob der Schuldner den Eintritt nicht verhindern hätte können.

Coronavirus und Fixgeschäfte
Als Unterfall des Schuldnerverzugs gibt es das „Fixgeschäft“. Ein Fixgeschäft liegt insbesondere dann vor, wenn ein konkretes Leistungsdatum bzw. ein konkreter Leistungszeitraum vereinbart wurde und bei Vertragsabschluss für den Fall der nicht pünktlichen Vertragserfüllung der Rücktritt vom Vertrag erklärt wird. Ein Fixgeschäft kann entweder absolut oder relativ vereinbart werden, wobei beim relativen Fixgeschäft die Leistungserbringung unter Umständen noch nachträglich möglich ist. Dazu muss der Gläubiger den Schuldner darüber instruieren, dass nach wie vor Interesse besteht, widrigenfalls ist der Vertrag automatisch aufgelöst.

Coronavirus und Gläubigerverzug
Neben dem Schuldnerverzug gibt es den Gläubigerverzug. Das heißt, dass der Schuldner die Leistung anbietet (Zeit und Ort) und der Gläubiger diese nicht annimmt. Der Gläubigerverzug löst einen Gefahrenübergang aus. Das bedeutet, dass das Risiko einer Verschlechterung auf den Gläubiger übergeht, der Schuldner haftet nur mehr für grobes Verschulden. Ein Beispiel des Gläubigerverzugs im Zusammenhang mit dem Coronavirus ist, wenn der Gläubiger dem Schuldner aus Angst vor einer Ansteckung den Zutritt zum Betriebsgelände verweigert. Für Unternehmer, die eine Lieferung von Waren schulden, gibt es für den Fall eines vorliegenden Gläubigerverzugs unterschiedliche Lösungen, um den Vertrag ordnungsgemäß zu erfüllen. Die Ware wird – allenfalls gerichtlich – hinterlegt, denn durch die Hinterlegung hat der Schuldner den Vertrag erfüllt. Ebenso ist der Schuldner berechtigt, Aufwandersatz für den Zeitraum, in dem er länger erfüllungsbereit ist, vom Gläubiger zu verlangen. Da der Gläubigerverzug bloß eine Obliegenheitsverletzung ist, handelt der Gläubiger nicht rechtswidrig und es handelt sich um einen bereicherungsrechtlichen Aufwandersatzanspruch.

Coronavirus und Unmöglichkeit
Wesentlich ist, dass rechtlich betrachtet eine Differenzierung zwischen nachträglicher und anfänglicher Unmöglichkeit vorliegt. Nachträgliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn eine Leistung nach dem Zustandekommen des Vertrages endgültig nicht mehr erbracht werden kann. Wenn bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eigentlich klar war, dass die Leistung nicht mehr erbracht werden kann, handelt es sich um anfängliche Unmöglichkeit. Die Differenzierung zum Verzug liegt darin, dass nicht nur temporäre Hinderungsgründe (Verzug) vorliegen, sondern endgültig keine Leistungserbringung möglich ist. Das Coronavirus umfasst vor allem Fälle der nachträglichen Unmöglichkeit. Wenn z. B. aufgrund der behördlichen Anordnungen Events oder größere Sportveranstaltungen abgesagt werden, handelt es sich um Fälle der nachträglichen Unmöglichkeit.

Rechtlich gibt es zwar wieder drei unterschiedliche Varianten, aber im Fall von COVID-19 muss man sich primär auf die zufällige nachträgliche Unmöglichkeit konzentrieren. Bei dieser zerfällt der Vertrag automatisch und der Schuldner muss das Risiko des zufälligen Untergangs tragen. Das bedeutet, dass weder der Schuldner noch der Gläubiger seine Leistungen erbringen muss. Wenn der Gläubiger bereits vorab Leistungen erbracht hat, müssen diese rückabgewickelt werden. Einfach gesagt bedeutet dies, dass der Unternehmer im Fall der zufälligen nachträglichen Unmöglichkeit dem Kunden das Geld für die bereits bezahlten – und in weiterer Folge nicht erbringbaren – Leistungen zurückgeben muss.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass behördliche Anordnungen ein Umstand sind, der eine zufällige nachträgliche Unmöglichkeit darstellt und nicht verschuldet wurde. Da im Falle der zufälligen nachträglichen Unmöglichkeit kein Verschulden vorliegt, muss der Unternehmer auch nicht für Aufwendungen des Kunden, die dieser im Hinblick auf die Vertragserfüllung getätigt hat, aufkommen.

Fazit: Zusammengefasst ist zu sagen, dass jeder Vertrag natürlich konkret zu betrachten ist und die damit einhergehenden Umstände auch jeweils im speziellen Fall zu betrachten sind. Eine allgemeine Lösung im Zusammenhang mit COVID-19 gibt es nicht. Um im konkreten Fall jeweils Rechtssicherheit zu haben, ist eine individuelle rechtliche Beratung durch die Wirtschaftskammer bzw. einen Rechtsanwalt am sinnvollsten.

Foto: iStock.com/AndreyPopov

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