So ziehen Sie als Dienstleister Grenzen
Wo bleibt das gesunde Nein?
„Es geht sich doch bestimmt bis morgen aus, dass Sie den Auftrag nach meinen aktuellen Wünschen überarbeiten und noch XY hinzufügen?“ – ohne zusätzliche Kosten dafür zu verrechnen, versteht sich.
Wer kennt diese Situation als Auftragnehmer nicht? Der restliche Tag ist bereits verplant, die vergangenen Wochen waren ohnehin sehr herausfordernd, Freizeit ist Mangelware und nun möchte ein wichtiger Kunde noch kurzfristige Adaptierungen. Die Laune sinkt, die Wut steigt und am liebsten würde man gleichzeitig schreien und weinen. Lediglich das naheliegende und gesunde „Nein“ kommt einem nicht in den Sinn. Viel zu groß ist die Angst davor, Kunden dadurch zu verärgern, Folgeaufträge einzubüßen und eine schlechte Nachrede zu bekommen. Da hilft also nur, die Ärmel hochzukrempeln, Familie und Erholung – schon wieder – zu verschieben und sich ans Werk zu machen.
Vereinbarungen und Regeln
Aber halt, wie reagieren Sie, wenn sich jemand wie folgt verhält: Sie spielen ein Brettspiel und Ihr Gegenüber schummelt offensichtlich. Oder Sie borgen jemandem Geld und die Person zahlt es nicht fristgerecht zurück. Sagen Sie da auch: „Ist schon o. k., da kann ich darüber hinwegsehen“? Vermutlich nicht. Sie würden hier wohl eher auf die Vereinbarungen und Regeln hinweisen und Ihr Gegenüber ersuchen, sich daran zu halten.
Je öfter wir dieser Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen also Raum geben, desto weniger wahrscheinlich achten wir unsere eigenen gesunden Grenzen.
Das kann dahinterstecken
Aus meiner Sicht gibt es zwei Gründe, weshalb es Ihnen beruflich schwerfällt, Auftraggeber gegenüber Grenzen zu ziehen. Die erste Option ist, dass Sie für sich und andere gar keine klar erkennbaren Grenzen gesetzt haben. Nirgendwo ist nachzulesen, bis wann und wie viele Änderungswünsche von Kundenseite kostenfrei nachgereicht werden dürfen. Es ist nicht geregelt, was danach passiert, wenn die Vereinbarung überschritten wird – Zusatz-kosten? Fristverlängerung? Deshalb ist es gesund und sinnvoll – für einen selbst, aber auch für die Auftraggeber –, transparent zu machen, wie in solchen Fällen vorgegangen wird. „Kenne deinen Wert.“ Machen Sie sich bitte Gedanken dazu und legen Sie Ihre neuen Spielregeln detailliert und selbstbewusst fest. Das tun Sie Ihrer ganzheitlichen Gesundheit in allen Lebensbereichen zuliebe. Nur so haben Sie auch die zusätzliche Option, Kunden bei Bedarf klar auf die gemeinsam festgelegten Vereinbarungen hinzuweisen.
Der zweite Grund, der Sie am Ziehen von Grenzen hindern könnte, ist, dass Sie (wie eingangs beschrieben) aus Angst heraus handeln. Sie gehen über Ihre persönlichen Schwellen, um einen eventuell noch größeren Schaden abzuwenden. Aber wie realistisch ist diese Gefahr? Und was könnte Ihnen selbst drohen, wenn Sie immer wieder Ihre Grenzen negieren? Sobald Angst zugegen ist, wird diese zumeist höher bewertet als die Vernunft. Je öfter wir dieser Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen also Raum geben, desto weniger wahrscheinlich achten wir unsere eigenen gesunden Grenzen. Burnout, Erkrankungen und Probleme in den übrigen Lebensbereichen können die Folge sein. Deshalb gilt es, ehestmöglich eine gesunde Mitte zwischen wirtschaftlicher und persönlicher Gesundheit zu finden, um langfristig in allen Lebensbereichen erfolgreich zu sein.
So können Sie optimieren
Wie können Sie das nun in der Praxis für sich optimieren? Dazu versetzen Sie sich bitte wieder in die Situation, dass ein Kunde anruft und kurzfristig kostenlos Änderungen an einem Projekt beauftragen möchte. Nun gibt es inzwischen jedoch bereits mit ihm klar geregelte Vereinbarungen, auf die Sie sich berufen können. Dennoch keimt in Ihnen die Angst auf, dadurch wirtschaftliche Nachteile zu haben. Scheuen Sie sich an diesem Punkt bitte nicht davor, sich eine kurze Bedenkzeit einzuräumen und dem Kunden Ihre Antwort erst in z. B. einer halben Stunde telefonisch mitzuteilen. In dieser Zeit können Sie die Situation nämlich möglichst objektiv aus allen Blickwinkeln betrachten, was Ihre Angst mindern und Sie zu einer rationalen Entscheidung befähigen wird.
Dabei kann Ihnen der untenstehende kurze Fragebogen eine Entscheidungshilfe bieten. Beantworten Sie bitte die folgenden Fragen spontan nach Schulnotensystem (1 = Sehr gut, 2 = Gut …).Je höher die Gesamtsumme am Ende der fünf Fragen ist, desto ratsamer ist es, Grenzen zu setzen – um ganzheitlich gesund zu bleiben.
1. Wie gesund und in meiner Mitte fühle ich mich aktuell?: Sehr gesund (1) – Bereits krank (5)
2. Wie viel Zeit habe ich für die Lebensbereiche außerhalb der Arbeit?: Mehr als genug (1) – Gar keine (5)
3. Wie dringend benötige ich derzeit Aufträge?: Sehr dringend (1) – Aktuell nicht dringend (5)
4. Wie wichtig ist mir dieser Kunde?: Sehr wichtig (1) – Gar nicht wichtig (5)
5. Wie wahrscheinlich schätze ich es ein, dass der Kunde abwandern wird, wenn ich Grenzen setze?: Sehr sicher (1) –Nicht wahrscheinlich (5)
So können Sie in Ihrem Tempo üben, Grenzen zu setzen. Viel Erfolg dabei!
Hillert; Marawitz: Die Burnout-Epidemie – oder Brennt die Leistungsgesellschaft aus?; C. H. Beck
Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens; Junfermann
Peiffer: Nur keine Angst! – Das Erfolgsprogramm gegen Angstzustände und Panikattacken; Knaur
Dyer: Der wunde Punkt – Die Kunst, nicht unglücklich zu sein; rororo
Weiss; Harrer; Dietz: Das Achtsamkeits-Übungsbuch; Klett-Cotta
Thomas Eigner, MA, ist seit mehr als 20 Jahren in der Beratung tätig. In seiner Praxis in 1010 Wien und 2700 Wiener Neustadt bietet er Erfolgscoaching und Mentaltraining, Supervision und psychologische Beratung an. Die Arbeitsweise hierbei ist systemisch und ganzheitlich. Seine langjährige Beratungserfahrung hat Thomas Eigner zudem in dem Buch „GET – Ganzheitliches Erfolgs-Training. Wohlstand, Zufriedenheit und Gesundheit in allen Lebensbereichen manifestieren“ festgehalten.
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